Bitte nicht stören.
Während Halloween wirtschaftlich in vielen Märkten boomt, zeigt sich der Brauch in der Schweiz eher zurückhaltend. Ein bisschen Kürbis, ein bisschen Kostüm, aber kein milliardenschweres Spektakel. Dennoch: Wir wissen sehr wohl, wer weltweit Furore macht. Heidi Klum, die Queen of Halloween, wird in wenigen Stunden wieder ihr leibliches Kunstwerk enthüllen. Ob Wurm, Alien oder wandelnde Skulptur – sie macht Halloween jedes Jahr zur Haute Couture des Grauens. Halloween ist laut, klappert mit Plastikzähnen und schleudert Bonbons wie Konfetti durchs Dunkel. Aber es kommt naturgemäss der nächste Morgen. Und während sich die einen noch immer auf dem roten Teppich neu erfinden, bleibt die Schweiz beim Altbewährten: beim Licht, das nicht blendet, sondern erinnert. Bei Allerheiligen. Der Feiertag steht ruhig da, hebt nur kurz mal eine Kerze, diskret und leise. Keine Masken, keine Monster, kein Zuckerschock. Noch Stunden zuvor wurden die Geister beschworen, nun gedenken wir ihrer. Allerheiligen ist geduldig und würdevoll. Ein Tag, der nicht sexy ist und damit fast schon revolutionär wirkt. Vor allem in einer Welt, die selbst Stille mit einem beruhigenden Soundtrack hinterlegt.
Allerheiligen ist das analoge Pendant zur digitalen Dauerpräsenz. Kein Algorithmus, der unsere Emotionen sortiert, keine Push-Nachricht, die uns daran erinnert, dass wir vergessen haben zu gedenken. Kein Fest, das instagrammtauglich glänzt. Kein Filter, kein Hashtag, kein Glamour. Dafür echtes Grau. Wir, ein Grablicht und vielleicht ein Gedanke, der länger brennt als die Kerze selbst. Halloween inszeniert die Angst, Allerheiligen wagt die Nähe. Kein Grusel, kein Gekreische, vielmehr nur das stille Eingeständnis, dass Erinnerung die ehrlichste und nachhaltigste Form von Gegenwart ist. Vielleicht ist das der wahre Horror unserer Zeit: nicht die Gespenster, die auftauchen, sondern die Menschen, die in der digitalen Welt verschwinden. Und irgendwo zwischen Chrysanthemen und Kerzenschein, zwischen Nebel und Nachdenken, liegt eine zarte Erkenntnis: Es muss nicht laut sein, um Eindruck zu hinterlassen. Manche Lichter leuchten gerade deshalb, weil sie diskret bleiben dürfen. Ist das etwa die stille Pointe von Allerheiligen? Dass Erinnerung nicht die Vergangenheit festhält, sondern das Jetzt erhellt? Möglich. Jedenfalls ein Tag, der mehr sagt als manch lauter Moment.
Simone Leitner Fischer