Spiessig oder wegweisend?
Wir kennen sie alle. Wir lieben sie alle. Und wenn wir sie verlieren, sind wir irritiert, oft sogar traurig. Die Rede ist von Traditionen, die uns lieb und teuer sind. Für die einen sind es die Lauberhornrennen, das Chuenisbärgli oder die Streif. Für die anderen sind es die Metzgete im Kreuz Mühledorf, das Krimidinner mit der Familie oder die Solothurner Filmtage. Für mich sind Traditionen wiederholte Glücksmomente. Doch wie oft habe ich mich gefragt: Dürfen sich Rituale verändern? Und bin zur Überzeugung gekommen: Sie müssen sogar! Traditionen sind keine Relikte aus der Vergangenheit, sondern lebendige Prozesse, die sich mit der Zeit rhythmisch bewegen. Sie verbinden das, was war, mit dem, was ist. Und sie schaffen Raum für das, was kommen mag. Immer geprägt von Überlieferung, Anpassung und dem Mut, sie umzukrempeln. So sehr ich Traditionen liebe, so sehr weiss ich, dass sie nicht unverändert bleiben, nicht konserviert werden wie Gurken im Glas. Ihre wahre Kraft liegt im Wandel und im Loslassen.
Apropos Tradition: Gestern Abend wurden die Solothurner Filmtage eröffnet. Schon zum 60. Mal wird die Barockstadt zum Brennpunkt des Schweizer Films. Schon zum 60. Mal wirft das Ritual einen Anker in der flüchtigen Zeit. Die Filmtage spannen eine Brücke zwischen Tradition und Innovation, zwischen Gestern und Morgen, zwischen Beständigkeit und Aufbruch. Hier trifft das Intellektuelle auf das Emotionale, die Kunst auf den Alltag. Ein Filmfestival, das sich selbst treu bleibt, ohne jemals stehenzubleiben. Neue Technologien, Streaming-Plattformen, digitale Filmproduktionen – die Welt des Kinos hat sich drastisch verändert. Die Filmtage haben diesen Wandel aber mitgemacht und wegweisend mitgestaltet. Nur so blieb das Festival lebendig und vor allem relevant. Wie gesagt: Traditionen sind dafür da, gelebt zu werden und sich dem Zeitgeist anzupassen. Wer sie festhält, riskiert, dass sie zerbrechen. Wer sie lebt, riskiert, dass sie sich verändern. Und darin liegt die Magie. In diesem Sinne: Bonne projection!
Simone Leitner Fischer