Unsere kleinen Talente.
Es beginnt meist mit einer kleinen Zeichnung – ein paar gutgemeinte Strichmännchen, einige abstrahierte Tierchen – und steigert sich zu farbenfrohen Grossformaten. «Wie schön und begabt», denken wir, und ehren das grosse Schaffen unserer Kleinen mit der feierlichen Aufnahme in die Kühlschrank-Galerie. Doch schon bald quillt sie über, die Tür unseres Küchengeräts: Ein Werk verdrängt das andere, bis das kreative Chaos jeden Zentimeter beansprucht. So grenzenlos die Kreativität der Kinder sprudelt, so unvermeidlich scheint der Moment, in dem der Stauraum kapituliert. Wohin also mit dem immer neuen Material? Heimliche Archivierung im Bastel-Bermuda-Dreieck? Ins Altpapier? Der Gedanke liegt nahe. Doch Vorsicht: Jeder Versuch der Entsorgung endet entweder in einer Rettungsaktion der Nachwuchskreativen oder einer schuldbewussten Mission der Eltern. Also wird das Wohnzimmer zum Louvre, die Küche zur Tate Modern und der Rest zur Hall of Fame. Eine Dauerausstellung, rund um die Uhr geöffnet, Eintritt frei.
Und während wir so heimlich kuratieren, merken wir: Unser Zuhause mag wie ein überfülltes Atelier wirken, doch dieser bunte Kosmos ist zugleich unser persönliches Museum. Irgendwann blicken wir auf die verblassten Klebeperlen und spröden Pappmaché-Tiere und schmunzeln – Kunstwerke einer wilden, fantasievollen Epoche, die auch Jahrzehnte später noch Kreativität und Emotionen zeigen. Apropos Kunst: Derzeit wird die 40. Ausgabe der Kantonalen Jahresausstellung der Solothurner Künstlerinnen und Künstler im Kunstmuseum gefeiert. Auch diese Kunstschaffenden waren einmal Kinder, die möglicherweise Kühlschranktüren bis zur Unkenntlichkeit verzierten und jedes Regal mit ihren Figuren beglückten. Heute sind sie Talente, die mit ihrem Schaffen Furore machen und ihre Verbundenheit zur Heimat zeigen. Die Jahresausstellung 2024 im Solothurner Kunstmuseum fördert den Austausch, bietet Entdeckungen, zeigt Konstanten, sorgt für Überraschungen – und erinnert uns daran, dass Talent vor allem eines braucht: Freiraum.
Simone Leitner Fischer