Good News 10/25

Wo finden Sie Ihre Mitte?

Heute schon getöpfert? Yoga gemacht? Oder meditiert? Dann liegen Sie voll im Trend – wenn Sie töpfern. Nicht der Sonnengruss, der Ton gibt jetzt den Ton an. Aktuell liegt die wahre Erleuchtung im Zentrieren eines widerspenstigen Tonklumpens. Und die innere Mitte? Die finden wir auf der Drehscheibe. Hat Töpfern etwa Yoga vom Thron gestossen? Nein. Aber es hat zumindest Platz genommen – und eine handgetöpferte Teetasse hingestellt. Laut Studien soll Töpfern das neue Yoga sein. Das heisst aber nicht, dass alle Yogamatten im Schrank verschwinden. Es heisst nur: Die Renaissance des Handwerks boomt. Und mit ihr haben sich unsere Sehnsüchte buchstäblich gedreht. Statt uns in schweisstreibenden Dehnübungen zur Perfektion zu verbiegen, suchen wir unser Glück im Ton. Das Ergebnis? Eine stolze Sammlung aus krummen Schüsseln, asymmetrischen Vasen und schiefen Bechern. Im Concept Store mit dem Label «handmade mit Seele» versehen, zu Hause als handfeste Erinnerung daran, dass Perfektion eh völlig überbewertet ist.

Klar, als Milliardenindustrie bleibt Yoga die unangefochtene Königin der Achtsamkeit – und Töpfern die hippe kleine Schwester. Aber der Trendindikator zeigt steil nach oben: Töpferkurse sind auf Monate ausgebucht, Händler können sich vor Nachfrage nach Keramikzubehör kaum retten. Selbst Brad Pitt und Seth Rogen sitzen mittlerweile an der Drehscheibe. Und logisch: Wenn Hollywood tonweise kreativ wird, passiert definitiv etwas. Also drehen wir in prominenter Gesellschaft mit handfester Hingabe an unseren Müeslischalen und Tellern. Meditation? Geschenkt. Die Geduld, die es braucht, um ein Gefäss zu formen, das nicht aussieht wie ein missglückter Vulkan, bringt mehr innere Ruhe als jede Atemübung. Versprochen. Töpfern trifft den Zeitgeist – ist die analoge Antwort auf eine digitale Welt, der haptische Gegenpol zum Bildschirm. Ein Stück Realität in der Hand, statt Pixel vor den Augen. Es reiht sich ein in die Slow-Living-Bewegung, die schon Gärtnern und Brotbacken zurück ins Rampenlicht gebracht hat.

Simone Leitner Fischer