Hinter der Maske sind alle gleich.
Eigentlich ist es ja paradox. Während des ganzen Jahres versuchen wir, möglichst authentisch zu sein. Oder was wir heute darunter verstehen. Wir optimieren unser Image, kuratieren unser Leben in den sozialen Medien und wissen genau, welches Gesicht auf den Plattformen gut ankommt. Dann kommt die Fasnacht. Dann setzen wir eine Maske auf – und sind ehrlicher als je zuvor. Denn wer sich hinter einer kunstvollen Larve versteckt, verliert nicht seine Identität – sondern gewinnt Freiheit. Freiheit von Zwängen, von Erwartungen, von der Notwendigkeit, sich an das Drehbuch des Lebens zu halten. Die Maske schützt, aber sie entlarvt auch. Im Alltag wird Diplomatie grossgeschrieben. Nicht so an der Fasnacht. Jetzt wird gesagt, was sonst verschwiegen wird. Schnitzelbänke sind die Feuilletons der Gesellschaft, Guggenmusiken der anarchische Soundtrack dazu. Politiker, Wirtschaftsbosse, gesellschaftliche Trends werden gnadenlos auf die Schippe genommen. Und das Spannende? Alle lachen – auch die, die es trifft.
Denn die Fasnacht hat eine goldene Regel: Es wird ausgeteilt, aber nicht nachgetreten. Solange es klug gemacht ist: Plumper Spott bleibt plump, aber ein gut gesetzter Witz trifft ins Schwarze. Eine Kulturtechnik, die mancher politisch korrekten Talkshow gut täte. An der Fasnacht tragen Menschen stolz Kostüme, die während des Jahres eine Identitätskrise auslösen würden. Der Anwalt wird zum Piraten, die Controllerin zur schrägen Prinzessin, der smarte Marketingexperte zum Clown. Heute ein Narr, morgen eine Revoluzzerin – und übermorgen wieder zurück ins Büro, als wäre nichts gewesen. Nur mit dem kleinen Unterschied, dass die Maske vielleicht nicht ganz so schnell abgelegt wird. Vielleicht ist das der wahre Wert der Fasnacht. Nicht das Verkleiden, nicht der Alkohol, nicht die Umzüge. Sondern die Tatsache, dass einmal im Jahr alles Kopf stehen darf – und wir uns frei bewegen. Ohne Karrieredenken, ohne das Bedürfnis, alles unter Kontrolle zu haben. Denn hinter der Maske sind tatsächlich alle gleich.
Simone Leitner Fischer