Zart, rund und revolutionär.
Ist es nicht eine seltsame Tradition? Einmal im Jahr feiern wir das Ei. Wir bemalen es, verstecken es und lassen Kinder nach ihm jagen. Und natürlich essen wir es auch – das feine Bio-Weideei. Es scheint, als wäre es ein Spiel – dabei ist es das älteste Symbol für das, was uns alle betrifft: Fragilität. Potenzial. Und die Hoffnung, dass etwas in uns lebt, mehr ist als nur Schale. Leonard Cohen, der Sänger, Dichter und Melancholiker mit Gitarre, wusste von den leisen Wendepunkten, zerbrechlichen Strukturen. «Es gibt einen Riss in allem – so kommt das Licht herein», sang er so passend. Ist das Ei vielleicht ein leiser Lehrmeister? Aussen hart, innen verletzlich? Perfekt proportioniert, schutzbedürftig und randvoll mit Möglichkeiten? Es erzählt, ohne ein Wort zu sagen: Dass das Wesentliche oft verborgen liegt. Und dass Zerbrechlichkeit kein Makel ist, sondern Voraussetzung für Entwicklung. Ostern nimmt diese Idee auf – zwischen Schoggihasen und dieser milden Melancholie eines langen Wochenendes.
Ostern ist auch kein Spektakel, sondern ein feiner Zwischenraum. Zwischen Winter und Frühling. Zwischen «Nicht mehr» und «Noch nicht». Eine Einladung zur leisen Revision. Keine Pflicht zur Euphorie, sondern ein Angebot zur Achtsamkeit. Denn vielleicht brauchen wir jetzt genau das: Ein Fest, das nicht ruft, sondern lauscht. Das nicht schrill glitzert, sondern nur dezent andeutet. In einer Welt, die nach Gewissheit hungert, ist das Ei ein Statement des Ungewissen. Und damit erstaunlich modern. Leider. Zerbrechlich sind nicht nur Eierschalen. Auch Überzeugungen. Routinen. Sicherheiten. Wir sehnen uns nach Stabilität und doch geraten gerade jetzt viele Gewissheiten ins Wanken: politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich. Trotzdem dürfen wir nicht vergessen, dass unsere grösste Stärke genau darin liegt: im feinen Riss, der Licht hereinlässt. In der Verletzlichkeit, die uns verbindet. Frohe Ostern. Und einen achtsamen Umgang mit allem, was zerbrechlich ist – auch mit den köstlichen Schoggiosterhasen.
Simone Leitner Fischer