Am Turnfest in Casablanca.
Unzählige Turnvereine in der Schweiz rühmen sich mit Super-Erfolgen, riesigen Events und unvergesslichen Erlebnissen. So auch der Turnverein Luterbach. So hat dieser tatsächlich an einem internationalen Turnfest in Casablanca (Marokko) teilgenommen. Im Jahre 1948 reisten über 20 gut vorbereitete Turner mit Zug und Schiff via Gibraltar nach der marokkanischen Grossstadt. Es ist nirgends belegt, welchen Erfolg sie unter Beurteilung von internationalen Punktrichtern mit ihren Vorführungen erzielt hatten. Im Turnerlokal – im Restaurant Bahnhof – im Trophäenkasten – stand aber prächtig präsentierend mittendrin ein Super-Pokal! Eine Art Suppenschüssel, silbrig, mit Deckel. Eingraviert war die Bestätigung der Teilnahme am Fest im Jahre 1948! Voilà! Welcher Turnverein in der Schweiz hatte kurz nach dem 2. Weltkrieg wohl eine solche Trophäe im Kasten? Zirka 20 Jahre später zollten die jungen Turner diesem Leistungsausweis hohen Respekt – mit Nachwehen! Das heisst, eigentlich den Teilnehmern am Fest, die zwar jetzt nicht mehr aktiv mitturnten, aber von denen die allermeisten stolz mit einer Ehrenmitgliedschaft gekrönt wurden.
Traditionsgemäss fand im Herbst, Ende der 1960er-Jahre, das Schlussturnen zwecks Erküren des Vereinsmeisters statt. Man darf diesen Anlass ruhig ein «Drei-Generationen-Turnfest» nennen! Die 1. Generation bestand aus den älteren Turnern, meist Ehrenmitglieder, die als Zuschauer oder Kampfrichter dabei waren. Die 2. Generation – dies waren die über 20-Jährigen, die konzentriert und zielgerichtet ihr Bestes gaben, damit am Schluss der Stärkste als Vereinsmeister geehrt werden konnte. Die 3. Generation, das waren die Jungs, die Rekrutenschule noch vor sich und voller Hoffnung, eines Tages mit den Älteren auch um den Tagessieg zu kämpfen. Alle drei Generationen versammelten sich nach dem Wettkampf zum Nachtessen im Turnlokal. Je später der Abend, umso leerer die Flaschen! Und die Geschichten der Ehrenmitglieder wurden immer spannender und lustiger erzählt. Gebannt hörten die Jüngsten zu, damit ja keine Pointe verpasst wurde! Es kam, wie es kommen musste. Ein ehemaliger (internationaler) Turnfestteilnehmer in Marokko gab plötzlich die strübsten Geschichten preis! Züge, die verpasst wurden, Schiffe, die unterzugehen drohten, Marokkanerinnen, die ihr Interesse an den Schweizern fanden usw. Um die Wahrheit über seine Erzählungen zu beweisen, holte er plötzlich den Pokal – die Suppenschüssel – aus dem Kasten. Die Turnerschar war nicht mehr zu stoppen! Ein solcher Erfolg – auch wenn er 20 Jahre zurückliegt, musste ausgiebig gefeiert werden. In dieser überschäumenden Feststimmung hatte einer die glorreiche Idee, man könnte doch diese «Suppenschüssel» mit Wein füllen und dann mit einem Lobgesang im Kreis herumreichen und einen kräftigen Schluck nehmen. Die Schüssel kreiste und kreiste, wurde wieder gefüllt und kreiste weiter, bis – vor allem bei der 3. Generation – alles nur noch im Kopf «kreiste»! Als mehrere Jungs das ganze Nachtessen, das Bier und den Wein wieder der Natur übergaben, wurde der fröhliche Abend abrupt abgebrochen. Manch einer zirkelte nach Hause und fand sofort den tiefen Schlaf. Der andere Tag erinnerte brutal an das prächtige Turnfest in Marokko: fürchterliches Kopfweh!
Dieser von Heinz Brunner geschriebene Text ist ein Ausschnitt aus der «Reihe Luterbach» und dem Band 6 «Es war einmal in Luterbach». Mehr davon und alle anderen Bände finden Sie im Webshop des Vereins Historisches Erbe Luterbach vhe-luterbach.ch.
Michael Ochsenbein,
Präsident Verein Historisches Erbe