GoodNews KW10/2021

Geheimnisse preisgeben?

Immer donnerstags bin ich motivierter, schneller und präziser. Immer nachmittags kurz vor 15 Uhr klappe ich den Laptop zu, schliesse das Büro ab und gönne mir eine Auszeit. Ich mach mich auf den Weg und bin fokussiert. Aber nicht mehr auf meine Kunden, meine Magazine oder Artikel. Vielmehr auf unbeschwert kindliche Gedanken und manchmal auf alte Kasperlifiguren. Bevor Sie jetzt denken, ich reise regelmässig in die Vergangenheit, muss ich präzisieren: Ich begegne regelmässig der Zukunft. Erkenne die frühe Relevanz der Digitalisierung, aber auch die anhaltende Magie der analogen Inter­aktion. Am Donnerstag besuche ich meine Schwes­ter und vier ihrer Enkelkinder. Wir spielen mit dem Tablet, schreiben und zeichnen, basteln mit WC-­Papierrollen und diskutieren. Ob wir ein altes Memory mit reichlich Patina oder ein brandneues spielen, ist den Kids völlig egal. Hauptsache wir spielen – und sie gewinnen. Mittlerweile ist mein Ehrgeiz aber geweckt. Also battlen wir uns. Und lernen spielerisch voneinander.
Als Kind war mir vor allem eines wichtig: meine Tage­bücher. Und gerade jetzt erleben sie ein Revival: Seit das Coronavirus die Welt in Schockstarre versetzt hat, häufen sich Video-Tagebücher, Tagebuch-Podcasts und Schrifttagebücher. Einige davon werden Furore machen. Werden als viel zitiertes Zeitdokument archiviert. Heute sind vor allem öffentliche Tage­bücher angesagt, die gelesen, gehört oder gestreamt werden. Doch geht dabei nicht die Essenz des Mediums – die Geheimhaltung – verloren? Vielleicht. Aber Tagebücher müssen nicht den gängigen Vorstellungen eines Geheimdokuments mit epischen Ausführungen entsprechen. Die Vielfalt von Tagebüchern zeigt sich auch im unterschiedlichen Erscheinungsbild: Sie reicht von Einzelblättern über das gebundene Buch mit Vorhängeschloss bis hin zur digitalen Variante als App und Weblog. Teilweise bleiben sie privat, teilweise öffentlich zugänglich. Egal. Schreiben, sprechen und filmen wir einfach spielerisch drauflos. Und beeindrucken einander mit Transparenz.

Simone Leitner Fischer